Hochwasser-Katastrophe in Westdeutschland: NINA-App und Cell-Broadcasting könnten leben retten – aber nur ohne menschliches Versagen.

Sein Name war Bernd und er verursachte Mitte Juli in mehreren Regionen Deutschlands schwere Niederschläge. So fielen am 14. Juli mancherorts mehr als 150 Liter Regen pro Quadratmeter binnen 24 Stunden. Ein Ereignis dieses Ausmaßes ist laut Deutschem Wetterdienst erst wieder in den nächsten hundert Jahren – wahrscheinlich sogar eher in den nächsten 1000 Jahren zu erwarten.

Die Regenmassen verursachten Überschwemmungen gewaltigen Ausmaßes. Besonders betroffen waren Nordrhein-Westfalen und Rheinland-Pfalz. Der dortige Landkreis Ahrweiler ist mit 140 Toten der Ort mit der größten Todeszahl in ganz Deutschland. Bundesweit starben bis zu 191 Menschen, 40 davon in Nordrhein-Westfalen, mehr als 140 in Rheinland-Pfalz.

Während die Aufräum- und Wiederaufbauarbeiten starten, wird klar, es wird Jahre dauern alles wiederherzustellen. Mehr als 1000 Gebäude sind deutschlandweit durch die Hochwasserkatastrophe zerstört worden. Zahlreiche Familien sind obdachlos, vielmehr noch stehen vor dem Ende ihrer finanziellen Existenz, da die wiederaufbaukosten in die Millionen gehen.

Eine große Kritik gibt es nun nach der Katastrophe am Warnmanagement. Das hatte nahezu vollständig versagt, wenn man realistische Maßstäbe ansetzt. Cell-Broadcasting gab es nicht – mehr dazu später. Die Medien reagierten teilweise zu spät. Der öffentlich-rechtliche Rundfunk zeigte lieber Hitler-Dokus um Olympia, als zeitnah über die Notlage zu informieren. Und die eigens vom Bundesamt für Katastrophenschutz herausgebrachte Katastrophen-Warn-App “NINA” wurde viel zu spät bis gar nicht mit Warnmeldungen bestückt.

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Holger Kreymeier kritisiert Hochwasser-Berichterstattung 2021 in seiner „Mediatheke“

Die gesellschaftspolitische Diskussion und die folgen, werden hier allerdings mal den anderen Medien überlassen. In der Hoffnung, dass diese wenigstens nach der Katastrophe eine ordentliche Berichterstattung über das Thema hinbekommen. Viele haben sich nämlich nicht gut angestellt. Der WDR verschlief im Radio und Fernsehen die ganze Tragödie, warnte weder ausreichend noch pünktlich. Nach dem Hochwasser wurden alle wach, aber besser wurde es nicht. Eine RTL-Reporterin rieb sich absichtlich mit Schlamm ein, damit … warum auch immer, das war unter aller sau. Und die BILD-Zeitung baut ihr Nachrichten-Tischchen mitten in den Trümmern auf. Genug davon. Oben im Absatz sind Links die sich mehr mit den Themen befassen. Wir befassen uns mehr mit den technischen Hintergründen über „NINA”.

Warum wurde zu spät gewarnt? Verbunden wird das ganze hier mit einer kleinen Einführung in die „NINA“-Warn-App. Doch es wird auch nicht Halt gemacht vor der kritischen Berichterstattung, über die nahezu fatale Fehlbestückung der “NINA”-App, die dafür sorgte, dass viele Menschen viel zu spät, bis gar nicht gewarnt werden konnten.

Was ist die “NINA”-App?

NINA steht für Notfall-Informations- und Nachrichten-App. Die App wird vom Bundesamt für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe (BBK) veröffentlicht. Das ist auch verantwortlich für den Betrieb und die App als solche. Für die Inhalte der einzelnen Meldungen sind allerdings die jeweiligen Herausgeber verantwortlich, die unter jeder Warnmeldung vermerkt sind. Finanziert wird die App aus Mitteln des Bundes und des Fonds für die innere Sicherheit der Europäischen Union.

In der App kann man einen gewünschten Ort suchen und dafür eine Art Warnmeldungs-Abo abschließen. Wird eine Warnmeldung für diesen Ort veröffentlicht wird sie auf dem Smartphone angezeigt und eine Benachrichtigung wird ausgelöst. Es gibt allerdings auch die Möglichkeit das sogenannte Live-Tracking zu aktivieren, dabei werden Warnmeldungen für den Bereich angezeigt, in dem Sie sich aktuell befinden. “NINA” ist also eine der wenigen Apps, wo es wirklich lebenswichtig und sinnvoll ist, die Standort-Freigabe zu aktivieren. Die GPS-Daten verlassen dabei noch nicht einmal Ihr Gerät, “NINA” gleicht Ihren Standort auf eine andere Weise ab, was dem Datenschutz zuträglich ist, den man aber bei dem Thema “Lebensrettende Datenverarbeitung” hier vielleicht gar nicht so eng anmahnen muss.

Diese Informationen basieren übrigens aus Inhalten des FAQ’s zur Nina App.

Was zum Teufel ist beim Hochwasser mit „NINA” schiefgelaufen?

Laut des Bundesamtes für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe – gar nichts.

“Wir können nur sagen: Unsere Technik hat zu 100 Prozent funktioniert. Daran hat’s nicht gelegen.”

Das mag ja richtig sein, aber wenn niemand die Meldung auslöst, kann die Technik noch so gut funktionieren. Insofern könnte die Aussage des BBK auch von Volkswagen stammen, wenn im Passat eines Unfallopfers der Airbag nicht ausgelöst hat, weil der Fahrer ihn vorher abgeschaltet hat.

Nina ist nicht die einzige Katastrophen-Warn-App in Deutschland. Es gibt da auch noch “KatWarn” und eigentlich gibt es zwischen “NINA” und “KatWarn” eine Übereinstimmung, dass bei sehr großen Katastrophen, Warnmeldungen in beiden Diensten geteilt werden. Das ist aber genau hier nicht passiert. Während “KatWarn” die Leute anwies die Wohnungen zu verlassen blieb Nina stumm. Beim Bundesamt kann man sich nicht erklären warum die Weiterleitung nicht zustande gekommen ist, man verweist hier auf den Landkreis. https://www.zdf.de/nachrichten/panorama/nina-app-warnung-flutkatastrophe-100.html

Kommen wir nun zu einem Grundproblem das “NINA” hat und welches eventuell Menschenleben gekostet hat. Dieses Grundproblem ist verpackt in einer Aussage von Armin Schuster, das ist der Leiter des BBK, die er bei einer Pressekonferenz gegeben hat.

“NINA hat in jedem Fall gewarnt, indem es beauftragt wurde. Da wo NINA nicht angesprochen wurde, kann es auch nicht warnen. Wir dürfen ja im Katastrophenfall nicht selbst warnen.”

Armin Schuster, Leiter des BBK

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NINA hat in jedem Fall gewarnt, indem es beauftragt wurde. Da wo NINA nicht angesprochen wurde, kann es auch nicht warnen. Wir dürfen ja im Katastrophenfall nicht selbst warnen.„, sagt Armin Schuster Leiter des BBK. Bei Minute 5:50 im Video.

Glauben wir dem in der Pressekonferenz recht nervös wirkenden Leiter des BBK einfach mal, dass technisch alles funktioniert hat. In Ahrweiler, dem Ort mit den höchsten Todeszahlen hat Nina nicht gewarnt …, weil es nicht beauftragt wurde.

Ein Problem könnte der sogenannte Föderalismus sein. Dabei sind Staaten teilsouverän – also einiges funktioniert überall gleich, in einigen Sachen können Länder allerdings unterschiedlich entscheiden. Das ist auch der Grund dafür, warum der Lehrplan an Schulen in jedem Bundesland anders ist. Anders gesagt: Jedes Land und jeder Kreis können selber entscheiden, über welche Warn-App sie Meldungen rausgeben. In Ahrweiler war es “KatWarn”, aber warum eine Weiterleitung an Nina nicht funktioniert hat, ist bisher nicht so ganz klar. Es zeigt allerdings, was für einen Flickenteppich das verursacht und welche Folgen es haben kann, dass jeder seine eigene Suppe kocht, bei einem Thema, dass eigentlich überall gleich funktionieren sollte. “NINA” hat versagt, weil es ein Dienst von vielen ist und Übertragungen von anderen Diensten hier wohl – entweder aufgrund von menschlichem oder technischem Versagen – nicht funktioniert haben.

Cell-Broadcasting: Warum erst jetzt!

Eine weitere sehr erfolgreiche – vor allen im Smartphone Zeitalter sehr erfolgreiche Warnmelde-Methode, die in anderen Ländern schon wunderbar funktioniert – ist Cell Broadcasting. Dabei werden Warnmeldungen von Mobilfunkanbietern direkt auf Handys übertragen, ohne dass dafür irgendeine App auf dem Smartphone installiert werden muss. Es wäre sogar möglich per altmodischer SMS, Handys zu erreichen die kein Betriebssystem haben, das Internetfähig ist. Diese guten alten Klapphandys alá Nokia und Samsung, die man sich beim Urlaub gerne klauen lässt. Hier kann keiner sein eigenes Süppchen kochen, da so gut wie alle Handy Hersteller Cell-Broadcasting mittlerweile tadellos unterstützen. Warum? Weil es in anderen Ländern fehlerfrei und gut umgesetzt wird. Die zwei größten Handy-Betriebssysteme Android und iOS unterstützen Cell-Broadcasting tadellos – es muss nur ankommen. Das Problem: In Deutschland gibt es kein Cell-Broadcasting. Klar hat sich die Politik bisher damit befasst, aber irgendwie wollte man es aus irgendeinem Grund nicht haben. Die Frage ist warum man ein Menschenleben rettendes System nicht haben möchte. Gut, dieser Gedanke ist eventuell zu makaber.

Aber mittlerweile hat man ja erkannt, dass Cell-Broadcasting voll der heiße scheiß ist. Das BBK arbeitet derzeit an einer Studie … aber da möchte ich mich Volker Briegleb von Heise anschließen der zurecht den Denkanstoß gibt, warum man eine Machbarkeitsstudie für etwas in Auftrag gibt, was überall sonst schon erfolgreich funktioniert.

Andere Methoden

Verantwortung der Medien gegenüber der Bevölkerung

Gerade mit Augenmerk auf öffentlich-rechtliche Sender, die lieber Hitler-Dokus um Olympia zeigen als irgendwelche Notfall Meldungen zu senden, sind mir diese YouTube Aufzeichnungen von japanischen Nachrichtensendern ins Gedächtnis gerufen worden. Wer sich nämlich mehrere solcher Videos mal ansieht merkt: Auf unterschiedlichen Sendern wird bei einem Erdbeben genau die gleiche Meldung angezeigt wie bei allen anderen Sendern auch.

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So funktioniert es in Japan:

Ein nationales Notfallsystem schaltet sich auf die Frequenz auf, und sendet seine eigene Nachricht per Bild und Ton, über das eigentliche Programm, während die Nachrichten-Sender direkt reagieren und ihr Programm unterbrechen. Dass das technisch möglich ist, zeigt sich in unserem Kabelfernsehen. Dort werden nämlich Textbanner angezeigt, wenn sich die Belegung einer Kabelfrequenz bald ändert. Die Meldung zur Analogabschaltung im Kabelfernsehen in diesem Video stammt nicht vom ZDF, sondern in diesem Fall von Vodafone, einem Anbieter von Kabelfernsehen in Deutschland. Es ist also möglich sich auf die Übertragung aufzuschalten, zum Beispiel für eine Katastrophen-Meldung. So weit müsste es aber gar nicht erst kommen, wenn die Sender selber kooperieren würden. Warum ist es nicht möglich, zwei große öffentlich-rechtliche Rundfunkanstalten da drauf hin umzustellen, dass sie solch ein System unterstützen? Das Argument der Gewaltenteilung lasse ich bei diesem Thema nicht gelten. Wir reden über Katastrophenfälle.

Und über die fehlenden und nicht funktionierenden Sirenen möchte ich gar nicht erst anfangen. Der bundesweite Warntag scheint umsonst gewesen zu sein, denn er hatte gezeigt, dass es technische Probleme und Lücken gibt, die bis heute nicht behoben und geschlossen wurden.

Das ist wirklich traurig.

— Patrick Schneider 07.08.2021

Quellen:

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